Die Sache mit den Türen

Etwas Neues wagen – Veränderung und Wachstum

Wie war das noch mal mit den Türen? Wenn eine sich schließt, öffnet sich eine andere – aber ist an diesem Kalenderspruch wirklich was dran? Unsere Welt, unsere Strukturen sind viel komplexer als zwei Türen. Ich glaube, man muss sich dieses Bild etwas genauer ansehen, um es ernst nehmen zu können und vor allem danach zu handeln.

Manchmal will man etwas ändern, sich aber nicht so richtig lösen. Sicher kennst du das: Du langweilst dich in deiner Beziehung, aber willst nicht allein sein. Du siehst keine Perspektive in deinem Job, hast aber Angst zu kündigen. Du sehnst dich nach Abenteuern, klammerst dich aber an Sicherheit. Und so weiter.

Meist schiebt man die Entscheidung ewig vor sich her, weil man den Sprung einfach nicht wagt. Das Alte wirkt beim Abschied (auch wenn er nur im Kopf stattfindet) angenehmer, als es in Wahrheit war – und man hält weiter dran fest. Man will etwas zwar loswerden, aber Abschied nehmen, das will man nicht.

Altes zurücklassen fällt schwer

Mir ging es jahrelang mit meinem Reisewunsch so. Ich stellte es mir schön vor, um die Welt zu reisen, ohne an einen festen Wohnsitz gebunden zu sein. Trotzdem hielt ich an meiner Wohnung fest und tat mich schwer damit, sie aufzugeben. Dazu kam, dass ich in einer festen Beziehung war. 

Irgendwann stand die Beziehung zum wiederholten Male vor der Frage, ob sie überhaupt noch funktioniert. Und da sprang ich ins kalte Wasser: Ich entschied mich, nicht mehr um sie zu kämpfen. Was ich wirklich wollte, stand mir plötzlich so klar vor Augen, dass ich die Trennung hinnahm, aus der gemeinsamen Wohnung auszog und meinen größten Wunsch in Angriff nahm.

Aus diesem Schritt habe ich viel gelernt. Und dennoch fällt es mir sehr oft noch unheimlich schwer, Bindungen zu lösen. So hadere ich zum Beispiel seit Langem mit der Kündigung bei einem Kunden, für den ich schon lange arbeite. Unsere Werte driften immer mehr auseinander und ich weiß, dass irgendwann der Punkt kommen wird, an dem ich mich löse. Hinterher werde ich froh sein über den gewonnenen Raum für einen neuen Kunden, der besser zu mir passt. Trotz dieses Wissens schiebe ich die endgültige Entscheidung immer wieder auf.

Der Bindungsinstinkt

Es gibt Studien dazu, dass wir Menschen gerne an Altem und Sicherem festhalten, da uns die Unwissenheit darüber, was kommt, Angst macht. Wir bewerten das Schließen der Tür (um bei unserem Bild zu bleiben) stärker als das Öffnen der Tür – weil wir von dem, was hinter der Tür wartet, vielleicht noch keine Vorstellung haben. Etwas Neues wagen, das ist meist ein Sprung ins Ungewisse.

Betrachtet man die Evolution, ist das sinnvoll. In seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken schreibt der Wirtschaftspsychologe Daniel Kahneman, dass es für Menschen früher überlebenswichtig war, mögliche Gefahren ernster zu nehmen als neue Ideen oder Lebenswege. Und dieser Instinkt ist immer noch da, weshalb wir so gern an Sicherem festhalten, Bindungen eingehen und festigen und Unsicheres vermeiden (allgemein gesprochen natürlich).

Das Bedürfnis nach Bindung steht uns aber leider manchmal im Weg. Es führt dazu, dass wir uns auch an Dinge und Situationen binden, etwa eine Wohnung oder ein Arbeitsverhältnis. Ein Gefühl der Bindung kann dazu führen, dass wir etwas als wertvoller einschätzen, als es tatsächlich ist. Dazu kommt die Sorge, andere zu enttäuschen oder zu verletzen, wenn wir uns von Altem verabschieden und etwas Neues wagen. 

Gewohnheiten und Routinen geben uns Stabilität und vermitteln Sicherheit. Ein stabiles System aufzugeben kann das ganze Leben durcheinanderwirbeln. Wie gesagt, das alles ist allgemein gesprochen, denn natürlich gibt es Menschen, denen es leichter fällt, Adieu zu sagen und alte Häfen zu verlassen. Es gibt darum auch kein objektives Falsch oder Richtig, jeder ist eben anders.

Etwas Neues wagen

Ich persönlich finde es jedoch wichtig, hin und wieder etwas zu tun, was mir Angst macht. Über seinen Schatten springen, die Komfortzone verlassen – wie auch immer man das ausdrücken will. Wir bewerten vieles über, was schlecht sein und was gegen einen neuen Weg sprechen könnte. Viele Dramen finden aber nur in unserem Kopf statt. Sobald man das größere Ganze betrachtet, sieht man, dass es in Wahrheit gar nicht so furchtbar werden kann – oder dass es im Notfall den Weg zurück gibt.

Neues, Besseres ergibt sich durch Offenheit. Und um offen zu sein, muss man auch frei sein, also etwas Freiraum und Spielraum für das Neue haben. Wer an zu viel Altem hängt, hat zu wenig Platz für etwas Neues. Darum ist es wichtig, manche Dinge gehen zu lassen, um Platz zu schaffen. Wenn ich acht Stunden täglich einen verhassten Job mache, fehlen mir Energie und Zeit, um einen neuen zu finden. Wenn mein Tag von Routinen beherrscht wird, fehlt Raum für Spontaneität. 

Warum ich das hier erzähle? Weil ich mich mit Türen auskenne. Wenn man ohne festes Zuhause lebt, keinen Chef, aber viele temporäre Projekte hat, muss man ständig etwas Neues wagen und Altes gehen lassen. Auf Reisen treffe ich viele neue Leute, freunde mich manchmal eng mit jemandem an, nur um nach ein paar Wochen oder Monaten wieder auf Wiedersehen zu sagen. Über Abschiede weiß ich wirklich Bescheid.

So schade es auch manchmal ist, jemanden oder etwas ziehen zu lassen – es gibt mir doch immer wieder die Möglichkeit, mich neu zu erfinden, neue Projekte anzugehen, neue Orte kennenzulernen und neue Freundschaften aufzubauen. Neue Gefühle, neue Erfahrungen, neue Perspektiven gehen damit gezwungenermaßen immer einher. Und genau das ist es, was uns wachsen lässt.

Das große Ganze nicht vergessen

Dabei muss man den Gedanken loslassen, dass immer alles von diesem Neuen erfolgreich sein muss. Wie oft habe ich mich schon auf die falschen Leute eingelassen (privat und beruflich), war von einem Ort enttäuscht oder von einem neuen Projekt schnell gelangweilt. Nicht alles geht auf oder bringt uns weiter – zumindest nicht so, dass man es immer sofort merkt. Manchmal zeigen sich die positiven Aspekte einer Veränderung erst später, mit etwas Abstand.

Denn auch an Enttäuschungen wachsen wir. Falsche Wege zeigen uns, wie es beim nächsten Mal besser klappt. Wir sind doch alle nur Übende in diesem Spiel des Lebens (ja genau, noch ein Kalenderspruch). Wer übt, darf sich austesten – und scheitern, ohne sich hinterher schlecht zu fühlen. Irgendwas nimmt man immer mit, wenn man offen dafür ist, seine Verhaltensweisen zu reflektieren und entsprechend anzupassen. Das ist Wachstum.


Bild von StockSnap auf Pixabay

Annette Nenner

Annette Nenner

Mein Herz schlägt für das geschriebene Wort, das Unterwegssein und Tiere jeder Art. Mit meiner Arbeit möchte ich die Welt verbessern und das Internet um richtig gute Texte bereichern.

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